„Le Monde du silence“ oder „Die schweigende Welt“: Das war der Titel, den Jacques Cousteau, der berühmte Meeresforscher und Dokumentarfilmer, einem seiner ersten Filme gab, der 1957 als bester Dokumentarfilm mit dem Oscar prämiert wurde. Ana Širović, Meeresakustikerin an der Scripps Institution of Oceanography in Südkalifornien, gibt dem Titel zumindest eine Teilschuld daran, dass noch heute viele Menschen glauben, es sei still in den Ozeanen der Welt. Dagegen ist es zumindest in Küstennähe etwa in felsigen Gebieten oft alles andere als still: Vielmehr klingt es oft wie eine Bratpfanne, „wie wenn Du was frittierst, oder wie ein Kaminfeuer,“ sagt Soundscapeökologin Lucia Di Iorio, von der diese Aufnahme [U01] stammt. Niemand tippe auf etwas Natürliches.
Dabei entstand die Aufnahme in etwa zehn Metern Tiefe im Atlantik, ein paar hundert Meter vor einer kleinen Insel, die ihrerseits etwa vier Kilometer vor der westlichsten Spitze der französischen Bretagne liegt. Ein Großteil des Geräuschs, so Di Iorio, stamme von zahlreichen nur wenige Zentimeter großen Garnelen der Familie der Pistolenkrebse oder Alpheiden.
Soviel weiß man schon seit den 1940er Jahren, denn bereits im 2. Weltkrieg störte dieses Knistern Sonarortungen von Unterseebooten, worauf die US-Navy Wissenschaftler der Universität von Kalifornien darum bat, die Ursache herauszufinden. In einer Studie aus dem Jahre 1947 nennen die Wissenschaftler das Knistern „das bei weitem weitverbreitetste aller biologischen Unterwassergeräusche, die man im Meer kennt.“ Auch in Korallenriffen und Austernbänken [U04 & 5] knistert es, und womöglich nutzen Jungtiere das Knistern und andere Klänge zur
Orientierung: Krabbenlarven gelangen anhand des Klanges zu den schützenden und nahrungsspendenden Korallenriffen, und Austernlarven finden so zu den Austerbänken, wo sie sich festsetzen können.
Aber erst im Jahr 2000 konnten Wissenschaftler um Detlef Lohse an der Universität Twente in den Niederlanden zeigen, wie das Geräusch wirklich entsteht: Die Tiere schliessen die größere ihrer Scheren so schnell, dass ein Wasserstrahl entsteht. Der dadurch erzeugte Druckabfall erzeugt eine Blase, deren Kollaps dann einen Knall erzeugt — laut genug, um Beutetiere zu lähmen oder sogar zu töten.
Einzelne dieser „Blasenexplosionen,“ so Di Iorio, könne man unterwasser mehrere hundert Meter bis zu einige Kilometer weit hören — viel weiter als etwa Fressgeräusche von Seeigeln oder Schliessgeräusche von Muscheln. „Es ist das lauteste, was man von diesen Kleinviechern hört,“ sagt sie. Am lautesten ist es, zumindest in der Bretagne, abends und nachts, wohl deshalb, da die Tiere dann im Schutz der Dunkelheit von Räubern weniger leicht entdeckt werden können.Wohl aus dem gleichen Grund ist das Knistern oft bei Neumond lauter als bei Vollmond, sagt der Neuseeländische Biologe Craig Radford. [Vgl. U7 & U8]
Aber das Knistern in der Bretagne kommt nicht nur von Pistolenkrebsen, sagt Di Iorio: Während diese vor allem Geräusche um die 2-4 kHz erzeugen, hat sie dort auch andere Frequenzen festgestellt, deren Herkunft sie gerade untersucht, indem sie Gruppen von Kleinorganismen im Aquarium und in Käfigen im Meer aufnimmt und die Aufnahmen dann mit der natürlichen Soundscape aus dem Meer vergleicht. Darunter sind das Skelettknacksen von Seeigeln, wenn sie sich bewegen oder beim Fressen ihren Schnabel schliessen, oder das vielleicht eigenartigste Geräusch eines einzelnen Krebses namens Seespinne (Maja brachydactyla) beim Fressen. „Ausser uns hat das noch niemand gehört,“ sagt Di Iorio. [U11]
Die Klangaufnahmen ermöglichen es Di Iorio, Gruppen von kleinen Unterwassertieren zu erfassen, die für direkte Beobachtungen nur schwer zugänglich sind. „Benthische Kleintiere kann man schlecht lange beobachten,“ sagt sie. Sie nutzt außerdem den Klang bestimmter Arten oder der Soundscape dazu, um den Gesundheitszustand eines Habitats zu beurteilen. Veränderungen der Aktivität von Seeigeln und Pistolenkrebsen etwa können Verschmutzung oder Temperaturveränderungen widerspiegeln.
Übrigens fehlt das Knistern in kalten Küstengebieten wie der Arktis, wo stattdessen Eisgeräusche recht laut werden können. [U12] [U13]
Auch in Flüssen und Teichen kann es ziemlich laut werden. So klingen Flußinsekten auf einer Aufnahme der Australischen Klangkünstlerin Leah Barclay fast wie auf einer Wiese [U14], und zu seiner Überraschung fand Sueur im Jahre 2009, daß das verglichen zur Körpergröße lauteste Tier der Welt in Flüssen und Teichen überall in Europa lebt: [U15]: Es handelt sich um 2 Millimeter große Männchen der Ruderwanze Micronecta scholtzi, die aus einem Meter Entfernung bis zu etwa 100 Dezibel laut sein können — in etwa so, als wäre man in der Disco einen Meter vom Lautsprecher entfernt. Sie machen das, indem sie ihren Penis gegen den Körper reiben.
Selbst die Redewendung „stumm wie ein Fisch“ stimmt so nicht. In vielen Küstengebieten hört man neben dem höherfrequenten Knistern auch ein tieferfrequentes Grunzen und Knurren von Fischen. [U17; U18] Auch Fische sind oft bei Dunkelheit am aktivsten: In Korallenriffen in Florida etwa fand die Bioakustikerin Erica Staaterman, dass niederfrequente Laute, wie sie von Fischen kommen, nachts oder um Neumond herum am lautesten sind, und der britische Biologe Julius Piercy fand, dass Umberfische in Indonesien an Neumond lauter sind als 12 Tage vor Neumond. [Vgl. U19& U20]
Warum die Fische rufen, ist erst in wenigen Fällen genauer untersucht: Vorläufige Experimente in Radfords Labor von der Universität von Auckland deuten etwa darauf hin, dass die nachtaktiven Bigeyefische, die den Tag in Unterwasserhöhlen vor Neuseeland verbringen, rufen, um im Schwarm zusammenzubleiben, sagt der Meeresbiologe.
Oft haben die Rufe mit Paarungsritualen zu tun: Im Falle des Lusitanischen Krötenfisches(Halobatrachus didactylus) in der Flußmündung des Tajo in Lissabon hat Biologin Clara Amorim herausgefunden, daß die Männchen mit ihrem Gesang Weibchen an ihr Nest locken — je öfter sie rufen, desto mehr Weibchen legen Eier in ihrem Nest, die die Männchen dann befruchten können. [U21] Der Britische Meeresbiologe Tony Hawkins konnte sogar die Lockrufe von Schellfischmännchen (Melanogrammus aeglefinus) dazu nutzen, um die Laichgründe der Fische vor der Küste Norwegens genauer als zuvor zu kartieren. Dies, sagt Hawkins, ist wichtig, um Überfischung zu vermeiden.
Viel mehr weiss man über die Gesänge von grösseren Meeressäugern wie Walen. Wie im tropischen Regenwald scheint es auch hier Klangnischen zu geben, sagt Širović, und verweist auf Aufnahmen vor der kalifornischen Küste, die zeigen, dass etwa Blau-, Finn- und Buckelwale auf verschiedenen Frequenzen singen. [U23]
Da man Walgesänge auch aus grosser Entfernung hören kann, nutzen Forscher ihre Rufe dazu, um abzuschätzen, wieviele der Tiere sich wann wo aufhalten. Vor der Westküste Kanadas zum Beispiel haben Kim Juniper von der University of Victoria in British Columbia und seine Kollegen mit einem Netzwerk von Hydrophonen herausgefunden, dass Blauwale im Frühling nach Norden und im Herbst nach Süden wandern — etwas, was man mittels direkter Beobachtung von Schiffen oder Flugzeugen aus kaum herausfinden könnte.
Auch Pavan nutzte Tonaufnahmen — vom Meeresgrund in 2050 Metern Tiefe vor der Sizilianischen Küste — um die Zahl von Pottwalen (Physeter macrocephalus) im Mittelmeer deutlich nach oben zu korrigieren. [U24] Als nächstes will er versuchen, anhand der Walgesänge auf Größe und Alter der Tiere zurückzuschliessen und damit abzuschätzen, wieviel Alt- und Jungtiere im Mittelmeer vor Sizilien leben.