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CDU-Landtagsabgeordneter

Billen the kid

Von TIMO FRASCH, KASCHENBACH
Fotos Marcus Kaufhold


Der rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete Michael Billen hat eine Affäre verschuldet, die ihn zu erledigen drohte. Er hat sich jedoch gerettet. Wer ihn heute erlebt, wie er raucht, wie er redet, wie er jagt, hat kaum noch Zweifel daran, dass ihm keiner mehr was kann.

Michael Billen, CDU-Landtagsabgeordneter aus der Eifel, hat mal über sich selbst gesagt: „Wo ich sitze, ist vorne.“ Das war auf die Hinterbank im Mainzer Parlament gemünzt, auf die ihn die Fraktionsführung zeitweise abgeschoben hatte. Aber es soll natürlich auch für den Hochsitz gelten, auf dem er sich gerade mit Jagdgewehr und Kippenschachtel häuslich eingerichtet hat. „Noch eine Stunde Büchsenlicht“, sagt Billen angesichts der einsetzenden Dämmerung. Genauer: Er flüstert es. Bei seiner Stimme, die mehr Orkan ist als Organ, kommt das einem Kunststück gleich. Billen zieht den Rauch einer frischen Marlboro bis ganz nach unten. Nie hat er versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Ein Michael Billen versucht nicht – er macht oder lässt es bleiben. „Beim Jagen zu rauchen ist gut“, flüstert er. „Vertreibt die Fliegen, und man weiß, woher der Wind weht.“


In unserem Rücken: sieben Windräder. „Wem’s nicht gefällt, der braucht nicht hinzugucken“, flüstert Billen. Vorne: Wald und Wiesen. Fünf Rehe waren schon zu sehen. Schöne Tiere, aber noch jung und alle zu weit weg, um sie zu schießen. Jetzt ruft ein Eichelhäher. Wovor will er warnen? Da, ein Fuchs, keine hundert Meter vom Hochsitz entfernt. Billen schaut durchs Fernglas, dann legt er an – zu spät. „Drecksack!“, zischt er, als der Fuchs schon im Gebüsch verschwunden ist.


Ein paar Tage vor der Jagdpartie konnte man in Zeitungen über ein hübsches belgisches Mädchen lesen. Es war als Model unter Vertrag genommen worden und machte dann den Fehler, auf Facebook ein Foto von sich mit einer erlegten Oryxantilope zu posten. Das war’s mit dem Modelvertrag. Juan Carlos erging es nicht viel besser, als seine Elefantenjagd in Botswana ruchbar wurde. Und der war immerhin König. Billen hingegen ist Billen.

Foto: Marcus Kaufhold
Michael Billen (r.) im Gespräch mit Jagdfreunden: „ (.. ) wenigstens noch ein Kerl, der seine eigene Meinung hat und sie auch sagt.“

Das bedeutet: Er geht nicht nur auf die Jagd, sondern er stellt auch Bilder mit Trophäen auf seine Homepage: Billen neben einem Hirschgeweih, Billen am Bierglas, Billen an Karneval zwischen zwei Frauen im Leopardenkostüm. Er erzählt, dass er vor zwei Jahren mit Kumpels in Namibia gewesen sei und was er dort geschossen habe: einen Springbock, einen Kudu, eine Oryxantilope. Und während viele Jäger so tun, als sei ihre Art zu jagen besonders unschuldig, weil besonders urwüchsig, sagt Billen auf die Frage, was man zur Jagd anziehen solle: „Ich gehe nur auf Hochsitze, auf die man sich mit dem besten Anzug setzen kann.“


Hat der Mann keine Angst?


Billen sagt: „Natürlich gab es die Überlegung, ob ich das Bild mit dem Hirsch ins Internet stellen soll. Aber da war meine klare Entscheidung: Das bin ich. Ich bin Bauer, und ich bin Jäger, kein schlimmer Jäger, aber Jäger. Jäger sind anerkannte Naturschützer, die schießen ja nicht nur tot, sondern die hegen auch und pflegen. Warum soll ich das verstecken? Ich verstecke ja auch nicht, dass ich Motorradfahrer bin und Raucher und Biertrinker. Wenn ich in der Politik den Leuten einen vormachen muss, heimlich auf die Jagd gehen, heimlich Bier trinken oder rauchen, dann höre ich auf.“



Billen erster Jäger im Nürburgring-Untersuchungsausschuss

Vor fünf Jahren hätte er fast aufhören müssen. Billen war damals für seine CDU-Fraktion erster Jäger im Nürburgring-Untersuchungsausschuss. Früher als viele andere hatte er geahnt, dass etwas nicht stimmt mit den angeblichen Privatinvestoren und Finanzvermittlern in den teuren Anzügen. Billen hat ein gutes Gespür für die Abgründe anderer, weil er mit seinen eigenen auf Du und Du ist. Aber er hatte nichts Handfestes. Da traf es sich oder auch nicht, dass eine seiner beiden Töchter Kriminalkommissarin war. Nach Billens Aussage hat sie aus dem Polizeifahndungssystem Daten über mögliche Nürburgring-Investoren gezogen, ausgedruckt und mit nach Hause genommen. Ohne Wissen seiner Tochter habe er die Dokumente eingesehen. Billen hat später zugegeben, dass das ein Fehler war, aber ein verzeihlicher. Juristen sahen das ein bisschen anders. Einer von ihnen verurteilte ihn und seine Tochter schließlich zu einer Geldstrafe. Billen sagt heute: „Juristen verkomplizieren alles.“


Das eigentliche Ärgernis für ihn waren aber nicht die Juristen, sondern die Leute in seiner Partei. Vor allem ein Jurist in seiner Partei, Christian Baldauf, der damalige Fraktionschef, der versuchte, ihn aus dem Landtag zu drängen. Es war eine schwierige Zeit, zumal für Billens Familie. Seine Tochter, die Polizistin, wurde vom Dienst suspendiert, und seine Frau schlief kaum noch. Billen, der nach eigenen Angaben immer gut schläft, sagt: „Wer meine Familie angreift, der lernt den Jäger kennen.“

Foto: Marcus Kaufhold
Michael Billen auf der Jagd nach Rotwild: „Das bin ich. Ich bin Bauer, und ich bin Jäger, kein schlimmer Jäger, aber Jäger.“

Ein guter Jäger braucht Disziplin

Ein guter Jäger braucht Disziplin. Damit hat Billen kein Problem. Er trinkt manchmal über Wochen keinen Alkohol und kann überhaupt sehr gut zwischen Dienst und Schnaps und Dienstschnaps unterscheiden. Ein guter Jäger braucht aber auch Geduld. Und die gehört nicht gerade zu Billens Stärken. Er sagt: „Ich neige dazu, Dinge zu schnell zu regeln. Wenn mich einer geärgert hat, wäre es manchmal gut, bis zum nächsten Tag mit dem Anruf zu warten. Ich mache es meist sofort, und das ist diplomatisch dann auch nicht mehr misszuverstehen.“

Foto: Marcus Kaufhold
Michael Billen führt einen stattlichen Bauernhof, er sagt: „Es gibt Weizen, Spreu und Mist, wobei aus manchem Weizen Mist wurde und umgekehrt.“

Vor fünf Jahren war es anders. Billen zog sich aus dem Untersuchungsausschuss zurück und setzte sich, wie es die Fraktionsführung von ihm verlangt hatte, auf die hinterste Bank im Parlament. Und er wartete. Baldauf tat ihm den Gefallen, sich bald von selbst zu erledigen, und aus dem Wald trat ein ungleich prächtigeres Exemplar auf die Lichtung: Julia Klöckner. Die hatte allen Grund dazu, mit der alten rheinland-pfälzischen CDU aufzuräumen. Vor allem aber wollte sie 2011 zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Aus irgendeinem Grund glaubte sie, ein einfacher Landtagsabgeordneter namens Michael Billen könnte das verhindern.



Zum Showdown kam es beim Kreisparteitag in Bitburg

Zum Showdown kam es am 28. Juni 2010 beim Kreisparteitag in Bitburg. Es galt, den Wahlkreiskandidaten für die bevorstehende Landtagswahl zu bestimmen. Billen wusste, dass er eine starke Gegenkandidatin hat – und genügend Feinde in den eigenen Reihen, die bislang nur stillgehalten hatten, weil sie ihn aus gutem Grund lieber nicht zum Feind haben wollten. Noch heute sagt Billen: „Ein Teil der Leute hält mich für ein Arschloch, den dummen Bauern aus dem Dorf. Ein anderer Teil, Gott sei Dank der größere, sagt: Das ist wenigstens noch ein Kerl, der hat seine eigene Meinung und sagt sie auch.“ Billen sorgte sicherheitshalber vor. In seinen eigenen Worten hört sich das so an: „Natürlich hab’ ich Mitglieder geworben, natürlich hab’ ich zu Leuten gesagt: Ihr habt immer gesagt, ihr seid für mich. Wenn das so ist, dann müsst ihr jetzt in die Partei gehen.“ Billen sagt aber auch: „Ich habe keinen gekauft und auch von niemandem die Mitgliedsbeiträge gezahlt.“


Die Stadthalle in Bitburg war an jenem Abend im Juni 2010 proppenvoll. Auch Julia Klöckner war gekommen. Sie appellierte an die CDU-Mitglieder, zum Wohle der Partei von einer Wiederwahl Billens abzusehen. Es ging ihr dabei weniger um die Sache als vielmehr um die „Wirkung“, die eine solche Wahl nach außen hätte. Klöckners Auftritt in der Höhle des Löwen war mutig, aber sie hatte die Lage falsch eingeschätzt. Denn erstens mochten es die Leute in der Eifel noch nie, wenn man ihnen von höherer Stelle Ratschläge erteilt. Und zweitens wird Billen ja gerade dafür geschätzt, dass er sich um die Außenwirkung einen Dreck schert – und nicht nur, weil er weiß, dass man gerade damit die größte Außenwirkung erzielen kann. Den schärfsten Angriff auf Billen ritt damals der heutige Generalsekretär der Landes-CDU, Patrick Schnieder, der Billens Heimat im Bundestag vertritt. Er warf ihm „Hybris“ und „Verabsolutierung der eigenen Person“ vor. Schnieder sagte: „Ich möchte Teamspieler, nicht Supermänner.“



„Jetzt kommen die Messer von hinten auch nicht mehr rein“

Billen wurde an diesem Abend mit 566 zu 315 Stimmen gewählt. Es war ein Triumph, und mehr als das. Ein Bad im Drachenblut, der ultimative Beweis, dass ihm ein Fehltritt, der andere die politische Existenz gekostet hätte, nicht nur nichts anhaben konnte, sondern ihm die politische Existenz geradezu gesichert hat. „Jetzt kommen die Messer von hinten auch nicht mehr rein“, sagt Billen heute. Und: „Ich habe durch den ganzen Mist einen Status an Freiheit erreicht, wie ihn jeder Abgeordnete haben sollte.“ Der Preis: Er wird nichts mehr. Dessen ist er sich bewusst, aber es ist ihm auch egal. Und vielleicht wird er deshalb ja doch noch was.

Foto: Marcus Kaufhold
Michael Billen schenkt in der Hof-Gastwirtschaft aus: „Es ist Gold wert, in dem Alter sein privates Umfeld nochmal sortiert zu bekommen.“

Erst einmal wurde er 2011 wieder direkt in den Landtag gewählt, knapp, aber gewählt. „Es gibt in der Politik nichts Stärkeres, als seinen Wahlkreis zu gewinnen“, sagt Billen. Manchmal übertreibt er es seither mit der Zurschaustellung seiner Unabhängigkeit. Aber indem er das zugibt und darüber schallend lacht, verhindert er schon wieder, dass man ihn für einen Halbstarken halten könnte. In der ersten Reihe der CDU-Fraktion wird zumeist Marionettentheater gespielt. Julia Klöckner zieht die Fäden. Wenn sie klatscht, klatschen alle. Wenn sie aus dem Fenster springt, springen die anderen hinterher. Viele Fraktionen funktionieren so – nur so. Das Chaos bräche aus, würde sich jeder so frei fühlen wie Billen. Der klatscht nämlich nur, wenn ihm danach ist. Er geht bei Feueralarm erst mal zum Rauchen auf den Landtagsbalkon und verweist darauf, dass er schließlich Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr von Kaschenbach sei, während sich alle anderen vorschriftsgemäß vor dem Plenargebäude versammeln. Und er äußert sich in Medien, ohne dass Klöckner den Wortlaut vorher abgesegnet hätte. Das heißt nicht, dass er die Fraktionschefin nicht respektiert. Im Gegenteil. Er weiß sehr genau, was sie kann, wie wichtig sie für die Partei ist. Aber er weiß eben auch, was sie nicht kann, und dass Klöckner wiederum weiß, dass er es weiß.



Mit Mainz verbindet Billen eine lange Geschichte

Mit Mainz verbindet Billen eine lange Geschichte. Sein Vater war hier von 1951 bis 1971 Landtagsabgeordneter, Billen ist es seit Mitte der neunziger Jahre. Trotzdem ist seine Welt dort, wo er seit seiner Geburt 1955 lebt, im 71-Einwohner-Dorf Kaschenbach in der Eifel. Dort hat er seine emotionale, seine politische, aber auch seine finanzielle Basis, den stattlichen Bauernhof, der inzwischen zu gleichen Teilen ihm, seinem Bruder, seinen beiden Söhnen und dem Sohn seines Bruders gehört. 120 Milchkühe stehen dort, 200 Stück Jungvieh, drei Traktoren. Es gibt sieben Fahrsilos, eine Biogasanlage, und jeder Quadratmeter Dachfläche ist mit Photovoltaikmodulen bedeckt. Billen ist gewiss kein Öko, aber auch kein Idiot. Umwelt- und Klimaschutz hält er für so wichtig wie den Mindestlohn, den er als einer der Ersten in der Union gefordert hat. Aber es sollte sich – wie fast alles andere – schon rechnen und lohnen.

Foto: Marcus Kaufhold
Michael Billen (ganz links) im Gespräch mit Freunden bevor alle gemeinsam auf die Jagd gehen.

Ein heißer Nachmittag im Juli, abends wird die Jagd steigen. Ein paar Leute haben sich schon in der Hofeinfahrt versammelt: Billens älterer Bruder, der seit Ewigkeiten Bürgermeister von Kaschenbach ist, außerdem Freunde von Billen, die auch nach 2010 Freunde geblieben sind, weil sie zu ihm gehalten haben. Billen sagt mit Bezug zu damals: „Es ist Gold wert, in dem Alter sein privates Umfeld nochmal sortiert zu bekommen. Man merkt: Es gibt Weizen, Spreu und Mist, wobei aus manchem Weizen Mist wurde und umgekehrt.“ Sein älterer Sohn, der spätabends die Steaks auf den Grill schmeißen wird, kommt gerade von der Getreideernte zurück: ein zwei Meter großer Hüne, sein Oberkörper nackt. Billen, der inklusive seiner Goldkette 120 Kilo wiegt, obschon er „kaum Bauch“ habe, sagt: „Bei uns ist keiner vom Kaliber schmal, wir sind alle vom Kaliber kräftig.“



Billen wollte keine Städter in der Nachbarschaft haben

Nachdem er mit dem Sohn noch ein paar landwirtschaftliche Dinge für den nächsten Tag besprochen hat, führt Billen durch sein Dorf und über seinen Hof, wobei es zwischen dem einen und dem anderen keinen großen Unterschied zu geben scheint. Wir kommen an zwei Häusern vorbei, die früher mal zum Verkauf gestanden haben. Auswärtige interessierten sich dafür. Aber Billen wollte keine Städter in der Nachbarschaft haben. Die würden sich nur beschweren, wenn morgens um halb sechs der Traktor am Fenster vorbeifahre. Da hat er die Häuser einfach selbst gekauft. Kaschenbach ist schön. Das fanden auch die Söhne von Helmut Kohl, als sie vor Jahrzehnten mit ihrem Vater bei Billens Vater zu Besuch waren. Sie wollten bleiben, und Mutter Hannelore fragte: „Wer passt dann auf sie auf?“ Der junge Billen sagte „Ich!“, und einen Sommer später machten die beiden Kohl-Söhne ohne Leibwächter Ferien auf dem Bauernhof. „Denen ist nichts passiert, denn das ganze Dorf ist bei uns Polizei“, sagt Billen. Einer der beiden Söhne hatte zum Üben seine Trompete dabei. Aber daraus wurde nichts. Billen: „Die haben nix gezahlt, dafür mussten sie schaffen.“

Foto: Marcus Kaufhold
Michael Billen: „Jäger sind anerkannte Naturschützer, die schießen ja nicht nur tot, sondern die hegen auch und pflegen. Warum soll ich das verstecken?“

Wir passieren die Fahrsilos und laufen an einem Getreidewagen vorbei. Billen tritt mit seinem Fuß gegen eines der gummibereiften Räder. „Da fehlt Luft, meine Herrschaften.“ Danach sind wir im Stall, seit Rainer Brüderles Bemerkung über die Erotik der Euter ein vermintes Terrain. Billen zeigt den neuen Melkroboter, offenbar ein Wahnsinnsgerät. Er sagt: „Der Automat erkennt, wenn die Kuh krank ist oder brünstig. Er ruft Sie auf Handy an, wenn was falsch läuft. Und er macht gleichzeitig die Zitzen sauber und regt zum Milchgeben an. Das funktioniert wie bei den Brüsten einer Frau.“



Vor Billens Wohnhaus steht sein Motorrad

Vor Billens Wohnhaus, das er gerade umbaut, steht sein Motorrad. Die Honda Goldwing 1500 wirkt wie extra dahin drapiert. Aber das kann man bei Billen getrost vergessen. Denn hätte er sich anders geben wollen, als er ist – hätte er dann beim Frühstück am nächsten Morgen die Blutwurst in einer Tupperdose auf den Tisch gestellt? Hätte er beim Duschen die Badezimmertür sperrangelweit offen gelassen? Und wäre er später mit einem kurzärmligen schwarzen Hemd, dunkler Sonnenbrille und einer neonorangen Krawatte zu irgendeinem symbolischen Spatenstich am Bahnhof Bitburg-Erdorf erschienen?


Wir gehen durch das Wohnzimmer, das wegen des Umbaus mit alten Wahlplakaten ausgelegt ist. „Da sieht man mal, wofür die gut sind“, sagt Billen. Wir treten auf die große Terrasse, in die die Äste eines Kirschbaums ragen. An einem der Äste hängt das Fell eines Fuchses. „Hält Schädlinge ab“, sagt Billen. Die Terrasse hat er selbst gemauert. Er sagt, er könne handwerklich alles außer tapezieren, und das wolle er gar nicht können. In Mainz erzählt man sich noch heute, wie Billen mit einer Parlamentariergruppe in Polen unterwegs war. Der Bus machte auf dem Weg zum Flughafen schlapp. Und während alle anderen mit den Schultern zuckten, machte sich Billen an dem Gefährt zu schaffen, um irgendwann mit rußgeschwärzten und dieselgetränkten Händen wiederaufzutauchen. „Die Einspritzpumpe!“, rief er, und die Reisegruppe, die danach die Fahrt fortsetzen konnte, erreichte gerade noch ihren Rückflug.

Foto: Marcus Kaufhold
Eichenblatt im Äser: Vorne der Kopf des Rehbocks, hinten Anstoßen mit Schnaps aus Billens Brennerei.

In der Hofeinfahrt ist die Stimmung derweil feierlich. Auf einem Grünstreifen liegt ein prachtvolles totes Reh, ein „Lebensbock“, wie Billens Bruder sagt. Der eine Teil der Jagdgesellschaft, der schon draußen war, hat ihn mit nach Hause gebracht. Billen glaubt, der Bock könnte in Rheinland-Pfalz zum besten Bock des Jahres gewählt werden. Er prüft das Gehörn, das Fell: „Sechs Jahre alt“, sagt Billen. „Hatte ein schönes Leben, sonst sähe er nicht so aus.“ Um sich des Tieres würdig zu erweisen, legt man ihm ein Eichenblatt in den Äser. Den letzten Bissen. Dann trennt man ihm den Kopf ab. Stunden später wird dieser Kopf dann auf einem edlen Silberteller ruhen, während ein paar Meter entfernt Schnäpse aus Billens eigener Brennerei getrunken werden – je einer auf jedes der vier Beine des stolzen toten Lebensbocks.

Foto: Marcus Kaufhold
Ein letzter Blick in das abendliche Dorf Kaschenbach.

Billen selbst hatte an diesem Abend nicht so viel Jagdglück. Nachdem der Fuchs im Gebüsch verschwunden war, warteten wir noch einige Minuten, ohne dass sich etwas geregt hätte. Schließlich sagte Billen mit fester Stimme: „Wir hören jetzt auf zu flüstern. Die Tiere merken nämlich, wenn man sich davonstehlen will, und sie geben das untereinander weiter. Wie, weiß kein Mensch. Aber wenn das Misstrauen erst einmal da ist, dann kommen sie nicht wieder.“