Erster Weltkrieg

Die Schlacht bei Tannenberg

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Wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs droht dem Deutschen Reich an der Ostfront bereits ein Fiasko. Die 8. Armee, einziger Verteidiger auf dem Weg nach Berlin, befindet sich auf dem Rückzug hinter die Weichsel, Ostpreußen preisgebend. Der Generalstab tauscht die Armee-Führung aus. Die Nachfolger setzen am 26. August 1914 zu einem kühnen Gegenangriff an.

Vorgeschichte

Das Deutsche Reich findet sich im August 1914 in einem Zweifrontenkrieg gegen die beiden Großmächte Frankreich und Russland wieder. Eine gewaltige strategische Herausforderung, mit der der deutsche Generalstab in Berlin aber seit Jahren rechnet. Die deutsche Führung setzt auf die Trägheit der russischen Mobilmachung und darauf, im Westen einen schnellen Sieg zu erringen. Während sieben Armeen im Westen unter Verletzung der Neutralität Belgiens zu einer gigantischen Umfassungsbewegung gegen die französische Armee ansetzen, soll im Osten die verbliebene 8. Armee die Soldaten des Zaren aufhalten, bis der Sieg im Westen errungen ist, und Armeen aus dem Westen nach Osten schwenken können. Doch der Plan geht nicht auf.

Der Vormarsch des deutschen Heeres durch Belgien dauert erheblich länger als geplant. Zugleich sind die Soldaten des Zaren schneller kampfbereit, als angenommen. Die 8. deutsche Armee sieht sich Mitte August zwei russischen Armeen gegenüber, die im Osten und Süden Ostpreußens an der 500 Kilometer langen gemeinsamen Grenze aufmarschiert sind. Als die 1. russische Armee unter General Paul von Rennenkampff die Grenze im Osten überschreitet und bei Gumbinnen am 19./20. August auf die 8. Armee trifft, bricht deren Oberbefehlshaber Generaloberst Maximilian von Prittwitz den Kampf schockiert ab und kündigt der Obersten Heeresleitung in Berlin an, seine Armee hinter die Weichsel zurückzuziehen. Er will die Provinz aufgeben. Generalstabschef Helmuth Johannes Ludwig von Moltke reagiert postwendend, enthebt Prittwitz seines Amtes, und schickt zwei neue militärische Führer auf dem schnellsten Weg nach Osten. Sie sollen die Katastrophe verhindern.

Die Armeen

Die 8. deutsche Armee umfasst im August 1914 rund 173.000 Mann. Die Truppen stehen, verteilt auf mehrere Armee-Korps, im Osten und Süden Ostpreußens. Ihnen gegenüber hat sich die 1. russische Armee unter dem Kommando von General Paul von Rennenkampff formiert.

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Deutsche Stellung bei den Masurischen Seen

Im Süden rückt die 2. russische Armee unter General Alexander Samsonow auf die Grenze zu. Zusammengenommen steht den deutschen Verteidigern damit eine Übermacht von 485.000 Soldaten gegenüber. Russland ist besser vorbereitet, als der deutsche Generalstab erwartet hatte. Die Heere sind stark und gut gerüstet. Zudem hat das Zarenreich das Eisenbahnnetz deutlich schneller ausgebaut als von den Deutschen angenommen wurde. Es ist entscheidend für die schnelle Verlegung von Truppen.

Die Generäle

Generaloberst Maximilian von Prittwitz und Gafron wird mit Ausbruch des Weltkriegs zum deutschen Oberbefehlshaber an der Ostfront ernannt. Als die 1. russische Armee zwischen der Festung Königsberg und der Masurischen Seenplatte die Grenze überschreitet, befiehlt Prittwitz, seine Truppen aus Ostpreußen gen Westen bis hinter die Weichsel zurückzuziehen. Seine Entscheidung kostet ihn den Oberbefehl. Generalstabschef Helmuth von Moltke löst ihn ab. Prittwitz geht in Ruhestand und stirbt 1917 in Berlin an einem Herzinfarkt.

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Von links nach rechts: Maximilian von Prittwitz und Gaffron, preußischer Generaloberst und Oberbefehlshaber der 8. Armee; Paul von Hindenburg; Alexander Wassiljewitsch Samsonow

An seine Stelle tritt der 66 Jahre alte General Paul von Hindenburg. Er wird eigens mit einem Sonderzug von Hannover nach Ostpreußen gefahren. Hindenburg ist Pensionär, hatte sich zunächst 1911 auf eigenen Wunsch aus dem Militärdienst verabschiedet, und dann bei Kriegsausbruch erfolglos bemüht, reaktiviert zu werden. Am 22. August erreicht ihn das ersehnte Telegramm aus Berlin. Er wird gebraucht. Hindenburg soll den Oberbefehl über die 8. Armee übernehmen und die Russen aufhalten. An seine Seite wird Generalmajor Erich Ludendorff berufen. Der neue Stabschef der 8. Armee hat sich bei der Eroberung von Lüttich in den Wochen zuvor ausgezeichnet. Er wird mit einem Auto von der Westfront nach Osten gebracht. Ludendorff gilt als brillanter Planer, aber auch als barsch. Bei Hindenburg, der nach außen die Armee vertritt, verhält es sich tendenziell umgekehrt. In Marienburg treffen beide zum ersten Mal in ihrem Leben aufeinander. Das Duo wird in den folgenden vier Jahren zunächst die militärischen und später auch die politischen Geschicke des Reiches bis 1918 entscheidend prägen.

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Das militärische Führungstrio der 8. Armee. Paul von Hindenburg (Mitte) wurde im Nachhinein als „Retter Ostpreußens“ verklärt. Der militärische Kopf indes war sein Stabschef Erich Ludendorff (rechts). Generalleutnant Max Hoffmann (links) blieb von der Ablösung seines vorherigen Oberbefehlshabers von Prittwitz verschont. Er legte mit dem Abbruch des Rückzugs und dem Schwenk mehrerer Armeekorps nach Süden wichtige Grundlagen für den späteren Sieg in der Schlacht bei Tannenberg.

In der Schlacht bei Tannenberg treffen sie auf den russischen General Alexander Wassilijewitsch Samsonow, der das Kommando über die 2. russische Armee zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Wochen inne hat. Ähnlich wie bei Prittwitz endet die Karriere des Oberbefehlshabers noch im August 1914. Allerdings nicht mit seiner Ablösung, sondern mit seinem Freitod. Mit dem Führer der 1. russischen Armee, Paul von Rennenkampff, war Samsonow verfeindet. Von Rennenkampff quittierte Ende 1914 seinen Dienst bei der russischen Armee.

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Der russische General Paul Edler von Rennenkampff (2.v.l.), Chef der 1. russischen Armee, mit seinem Stab beim Frühstück in einem Hotel in Insterburg (Ostpreußen). Weil er seinem Gegner nicht energisch genug nachsetzte, konnte die 8. deutsche Armee die 2. russische Armee überhaupt erst vernichten.

Die Schlacht

Als Hindenburg und Ludendorff in Marienburg ankommen, finden sie eine Armee vor, die auf Weisung der verbliebenen Führungsoffiziere ihren Rückzug bereits abgebrochen hat. Die Korps behalten zwar ihren Auftrag, sich von der 1. russischen Armee im Osten zu lösen, statt weiter nach Westen zu marschieren, schwenken sie stattdessen aber nach Süden, um den übrigen Teilen der 8. Armee im Kampf gegen die 2. russische Armee zu Hilfe zu kommen. Alles hängt davon ab, ob der Oberbefehlshaber der 1. russischen Armee den sich lösenden Korps entschlossen nachsetzt. Der Schachzug geht auf. Rennenkampff und sein Stab glauben weiterhin, die deutschen Truppen würden sich nach Westen zurückziehen.

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Das Deutsche Reich befindet sich zu Kriegsausbruch in einer großen Zwickmühle. Um den Zweifrontenkrieg so kurz wie möglich zu halten, will der Generalstab erst Frankreich im Westen ausschalten, dann Russland im Osten. Darum bleibt in Ostpreußen zunächst nur eine Armee stehen. Doch die Aufmarschgeschwindigkeit der russischen Truppen ist schneller als erwartet. Daraus ergibt sich eine zweite Zwickmühle. Denn auch die russischen Armeen greifen nun von zwei Seiten aus an. Mit der Schlacht bei Tannenberg gelingt der 8. Armee im kleinen, was dem deutschen Heer im großen misslingt. Den Feind an einer Front unter Aufgebot nahezu aller verfügbaren Kräfte zu besiegen, und anschließend an der anderen Front den Gegner ebenfalls zurückzuwerfen. Dabei geraten in der Schlacht von Tannenberg 12.000 deutsche Soldaten in Gefangenschaft, werden getötet oder verwundet. Auf Seiten des Zaren liegen die Verluste bei 142.000 Soldaten. Knapp drei Viertel der 2. Russischen Armee.

Am 26. August erreichen die ersten Truppenteile den östlichen Flügel von Samsonows Armee. Zunächst halten sich die erbitterten Kämpfe die Waage. Deutsche Artillerie schießt das von russischen Truppen besetzte Hohenstein in Brand. Die in Eilmärschen herangerückten deutschen Soldaten sind völlig erschöpft. Doch mit dem Eintreffen immer neuer Truppen verschiebt sich allmählich das Schlachtglück zur deutschen Seite hin. Die Flügel der 2. russischen Armee weichen zurück. Am 29. August haben die deutschen Korps große Teile der Armee mit einer Umfassungsbewegung eingekesselt. Samsonow, der die Katastrophe erkennt, erschießt sich in der Försterei Karolinenhof und wird dort begraben. Noch mitten im Krieg wird der Leichnam exhumiert, mit einem deutschen Ehrengeleit zum Bahnhof eskortiert und von dort aus nach Russland gefahren.

Am Ende der Schlacht haben die deutschen Truppen einen bedeutenden Sieg errungen. 142.000 Soldaten der 2. russischen Armee sind tot, verwundet oder gefangen. Die deutschen Verluste betragen nicht einmal ein Zehntel dessen.

Die 1. russische Armee bricht, als sie von der Einkesselung erfährt, ihren langsamen Vormarsch Richtung Westen ab und zieht sich auf eine Verteidigungsstellung nördlich der Masurischen Seen zurück. Der Zusammenbruch der Ostfront ist abgewendet, ein frühzeitiges Kriegsaus vermieden.

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Deutsche Soldaten in der Schlacht bei Tannenberg in einem Schützengraben, der mitten durch ein masurisches Bauernhaus verläuft.

Die Folgen

Mit dem Sieg in der Schlacht von Tannenberg behält das deutsche Oberkommando die Initiative. Zwei Wochen später bezwingt die 8. Armee in der Schlacht bei den Masurischen Seen auch die 1. russische Armee. Damit kann sich das Oberkommando weiter auf die Kämpfe im Westen konzentrieren. Doch dort erstarren die Fronten schon bald im Grabenkrieg. Bewegungsschlachten, Voraussetzung für Operationen, mit denen auch zahlenmäßig unterlegene Truppen einen Gegner besiegen können, werden damit unmöglich.

Für Ostpreußen ist die Leidenszeit indes noch nicht vorbei. Truppen werden an die Westfront verlegt, im November besetzt das russische Heer abermals Teile des Landes. Dieses Mal bleibt ein Überraschungssieg aus. Der Stellungskrieg setzt ein und dauert bis ins Frühjahr 1915. Bis dahin sind hunderttausende Einwohner geflohen. Damit gehörten die Bewohner der Provinz neben den Deutschen in Elsass-Lothringen zu den einzigen, zu denen der Krieg in die Heimat getragen wurde.

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Zerstörte russische Kolonne, Ende August 1914.

Für die Generäle Ludendorff und viel stärker noch für Hindenburg ebnet der Sieg den Weg für ihren weiteren Aufstieg im Deutschen Reich. Zunächst in Form einer de facto Militärdiktatur. Später dann für Hindenburg auch als Reichspräsident der Weimarer Republik. Der „Retter Ostpreußens“, als der er Zeit seines Lebens verehrt wurde, wird zum Steigbügelhalter Adolf Hitlers. Und zum Totengräber der Weimarer Republik.

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Wiederaufbau im zerstörten und von den deutschen Truppen zurückeroberten Neidenburg (heute Nidzica in Polen) nach der von Deutschland gewonnenen Tannenbergschlacht (27. bis 29. August) 1914.